Warum, frage ich
euch, kann es für ein Gericht nicht auch nur ein Rezept geben? Das Rezept, das ultimative? Ein Rezept,
bei dem ich weiß, dass es gelingt und dass es mir schmeckt? Dass nichts
Besseres mehr kommt?
Aber nein,
stattdessen hat jeder Koch sein eigenes, jede Köchin sowieso. Übernommen von Vorfahren
oder Lehrmeistern, verfeinert über die Jahre, angepasst an den eigenen
Geschmack. Und plötzlich weiß man nicht mehr, nach welchem Rezept man kochen
soll, wenn man sein Rezept noch nicht
gefunden hat. Weil es einfach zu viele gibt.
Mit den
Mühlviertler Mohnnudeln geht’s mir so. Ich habe leider kein Ahnenrezept, an das
ich mich anlehnen kann. Eine Mühlviertlerin ohne immergelingendes
Mohnnudel-Rezept? Ja, offenbar. Ich erkläre mir das mit der relativen Nähe
meines Heimatortes zur Donau, jenem Gewässer, das das Mühlviertel nach Süden
hin vom Rest der Welt Österreichs abgrenzt. Bei uns war der Mohnanbau
wohl nicht mehr ganz so alltäglich im bäuerlichen Schaffen wie er es weiter
nördlich war.
Mohnnudeln sind
eine traditionelle Spezialität des Mühl- und Waldviertels. Sie vereinen einige
der wichtigsten Feldfrüchte dieser Region in einem Gericht: Kartoffeln,
Getreide, Mohn. Im Mühlviertel dominierte der Blaumohn, im Waldviertel wurde
und wird vor allem der Graumohn
angebaut. Beide sind, wie auch der hellsamige Weißmohn, Varianten des
Schlafmohns, Papaver somniferum. Seinen Namen hat der Schlafmohn den Opiaten zu
verdanken, die zwar hauptsächlich im Milchsaft der unreifen Mohnkapsel, in
geringen Mengen aber auch in den Samen enthalten sind. Genau deswegen wurde
hier und da auch vom Mohnzutz
Gebrauch gemacht: Die Samen, in ein Tüchlein eingeschlagen und zum Zutzeln gegeben, haben Kleinkinder recht
effektiv ruhig gestellt. Himmel, waren das Zeiten.
Wenn ich so darüber
nachdenke, ist es schon recht seltsam, dass aus dem Mohn, der in langer
Tradition bei uns auf den Feldern gedeiht, gleichzeitig auch Opium hergestellt
werden kann. So richtig bewusst ist mir das erst geworden, als ich bei
Wikipedia las, der Anbau von Schlafmohn wäre in Österreich völlig legal (OMG!),
mehr noch, man könne ihn sogar in unzähligen Regalen von Lebensmittelmärkten
finden (OMG!!!). Hier ist also kulinarische Normalität, was anderswo streng
reglementiert, ja genehmigungspflichtig ist. Hm, das erklärt womöglich einiges
;-)

Mohn gequetscht
haben wir früher immer in der Stube am Kindertisch (Familienfeiern führten zu
Platzmangel, Platzmangel führte zum Kindertisch, einer herrlichen Einrichtung:
so ganz frei von störenden Erwachseneneinflüssen fühlten wir uns selbst immer
so … erwachsen). Am Kindertisch also war die Tischplatte dünn genug, um die alte
Mühle festzuschrauben. Bald rieselte der Blaumohn in den Messingtrichter, die
Kurbel drehte sich in gleichmäßigen Schwüngen und feuchte, blauschwarze Masse
sammelte sich in der kleinen Schüssel unterhalb des gedämpft murmelnden Mahlwerks.
Ich saß oder stand auf da Sof’, sah
zu, drehte selbst. Dann gab es Mohnstrudel oder gebackene Mäuse, dick mit
gezuckerter Mohnmasse bestrichen. Aber an Mohnnudeln kann ich mich eigentlich
nicht so recht erinnern.
Georg Friedl macht
seine Mohnnudeln aus einem Teig, der aus gekochten Erdäpfeln und Mehl besteht.
Man könne aber, je nach Vorliebe, auch den Teig für Sterznudeln (Wasser, Salz,
Mehl), Zweckerln (Mehl, Öl, Wasser) oder Erdäpfelnudeln (Erdäpfel, Mehl, Grieß,
Ei, Muskat) verwenden. Und als wäre das nicht genug, ist es weiterhin
Geschmackssache, ob man die Nudeln in Wasser kocht, in Butter anbrät oder in
einer Rein überbäckt.
Na gut, du
Rezeptechaos, dann suche ich mir halt für den Anfang das ungewöhnlichste aus. Und
das geht so:
In einem Kochtopf bringt man ½ Liter Wasser zum
Kochen, gibt 3 kleine, geschälte Kartoffeln hinein und bedeckt alles mit ½ kg
Mehl. Mit einem Kochlöffelstiel sticht man Löcher in das Mehl, damit das Wasser
durchkochen kann. Nun lässt man ½ Stunde kochen. Anschließend stürzt man die
Masse auf ein Brett, zerdrückt die Kartoffeln und verarbeitet alles zu einem
Teig. Dann formt man kleine Nudeln aus dem Teig, der noch etwas mehlig sein
kann. Die Nudeln gibt man in eine vorgewärmte Schüssel, bestreut gut mit
geriebenem Mohn und Zucker, übergießt mit reichlich heißer Butter und mischt
vorsichtig durch.
Das Rezept ist eines von
drei Mohnnudel-Anleitungen aus dem wunderbaren Buch „Der Bäuerin in den
Kochtopf g’schaut“ von Roswitha Willnauer. Es ließ bei mir jedoch einige Fragen
offen: Wie groß sind kleine Kartoffeln? Wie lässt sich brennend heiße
Kartoffelteigmasse auf einem Brett zu einem Teig verkneten? Und schmeckt es
tatsächlich, wenn die Nudeln nach dem Formen gleich in einer Schüssel
angerichtet werden?
Die Fragen sind
beantwortet und dieses Rezept ist dabei herausgekommen:
Mühlviertler Mohnnudeln
Zutaten für etwa 6
Personen
½ Liter Wasser
Salz
3 kleine,
geschälte Kartoffeln (etwa 250
g)
500 g Mehl
150 g Butter
75 – 150 g Mohn, frisch gequetscht
Zucker nach
Geschmack
1. Wasser in einem
mittelgroßen Topf aufkochen und salzen.
2. Die Kartoffeln
dazugeben (größere Kartoffeln vorher noch halbieren) und das Mehl darauf
schütten. Nicht umrühren!
3. Mit einem
Kochlöffelstiel einige Löcher bis zum Topfboden durchstechen, damit der
Wasserdampf entweichen kann. Den Topf nicht abdecken, sondern offen etwa 30
Minuten auf kleiner Flamme kochen lassen. Nach dieser Zeit sollten die
Kartoffeln gar sein.
4. Den Topf vom
Herd ziehen und mit den Knethaken des Handmixers durchkneten, bis die
Kartoffeln schon gut zerkleinert sind. Dabei kühlt die Masse etwas ab.
5. Nun die gesamte
Masse (auch mit dem verbliebenen Wasser) auf eine Arbeitsplatte stürzen und mit
dem Händen zu einem glatten Teig verkneten. Das funktioniert erstaunlich gut!
6. Den Teig in
mehrere Portionen teilen und zu fingerdicken Nudeln formen.
7. In einer Pfanne die Butter zerlassen und den
Mohn mit dem Zucker dazugeben. Die Nudeln in die Pfanne geben und nochmals kurz
erwärmen.
8. Nach Belieben
noch mit Staubzucker bestreuen.
Die Frage, ob dies nun mein Mühlviertler Mohnnudelrezept sei,
beantworte ich mit einem vorsichtigen Nein. Es ist zwar gut. Aber wer weiß, was
da noch kommt?!