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Donnerstag, 15. Januar 2015

Über meinen Lieblingskoch, sein Fiakergulasch, die EU und was das alles mit uns zu tun hat


Ja, der Mann hat eine Stirnlampe auf. Weil er sonst nichts sieht an seinem Tischherd. Die Beleuchtung, die dort hin gehören würde, ist noch nicht montiert, geschweige denn gekauft. Der Mann hat nämlich ganz andere Talente. Der Mann ist Koch. Mein Lieblingskoch. Einladungen beim ihm sind kostbar und haben noch jedes Mal meinen kulinarischen Horizont erweitert. Gerichte, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass sie mir jemals schmecken würden, schmecken mir an seinem Tisch: Beef tartare, das Rindfleisch (ein sehr gutes, aus dem Ort) feinst gehackt und perfekt gewürzt. Und diese Räucherfisch-Sulz! Ich, mit Wonne Sulz essend - wer hätte das gedacht.

Vor einigen Tagen kam ich wieder in den Genuss: Fiakergulasch, mit allem, was dazu gehört – für geschätzte 30 Leute (Geburtstag, nicht seiner). Alleine die Unmengen an (unbedingt gezuckerten!) Zwiebeln brauchten zum Anschwitzen zwei Stunden. Liebevoll angerichtet mit einem Frankfurter Würstel, einem Spiegelei, einem aufgefächerten Essiggurkerl, einem Löffel Sauerrahm und zwei Scheiben knusprig gebratenem Speck. Voilà: Das Fleisch zerfiel im Mund und alles war viel zu schnell gegessen, um es fotografieren zu können.

Das Tischgespräch war, dem Essen entsprechend, heiter und ausgelassen. Plötzlich kam die Frage auf:

Wie schaut es denn eigentlich mit den Allergenen aus, hier, bei deinem Gulasch?

Die Frage war ironisch gemeint und ihre Beantwortung hätte den Hochgenuss dieses Wiener Traditionsgerichtes nur gestört. Genauso schnell wie sie auftauchte, versank sie daher auch wieder im aromatischen, dickflüssigen Gulaschsaft. Dabei ist die Sache mit den Allergenen eine höchst aktuelle, natürlich nicht für solche privaten Kochereien, aber sehr wohl für die Gastronomie und alle anderen Akteure in der so genannten Außer-Haus-Verpflegung. Bestelle ich heute beim Wirt ums Eck ein Fiakergulasch, so müsste er mir, so ich das denn will, Auskunft geben können, ob in dem Gericht Zutaten enthalten sind, die Allergien auslösen könnten und wenn ja, welche. Klingt nicht unbedingt einladend? Nach Krankenhausküche, nach Diät? Stimmt, trotzdem ist es notwendig, sogar rechtlich verpflichtend. Die Schuldige ist in diesem Fall ein weiterer Koloss der EU-Rechtssprechung, die Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV), die mit Mitte Dezember des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Sie fordert neben vielen anderen Neuerungen auch eine lückenlose Kennzeichnung von allergenen Zutaten in Lebensmitteln, seien sie nun verpackt oder unverpackt. Betroffen ist daher auch das Fiakergulasch beim Wirt ums Eck.

Die strengere Allergenkennzeichnung ist eine Reaktion auf die stetig wachsende Zahl von Lebensmittelallergikern und Menschen mit Unverträglichkeiten. Warum diese Zahl im Steigen begriffen ist, sei hier nicht diskutiert, das ist ein ganz anderes Thema. Was aber hat der Wirt ums Eck zur neuen Regelung gesagt? Der war eher, na sagen wir einmal: verzweifelt. Ellenlange Speisekarten, den Beipackzetteln von Medikamenten gleich, wurden befürchtet – und waren auch tatsächlich in Diskussion. Die berechtigte Frage lautete: Wo bleibt der Genuss, wenn man sich erst durch ausführliche Zutatenlisten, Warnhinweise und Fußnoten arbeiten muss? Die österreichische Auslegung der LMIV fiel Gott sei Dank pragmatisch aus: Der Gastronom darf selbst entscheiden, ob er seine Speisekarte umgestalten will. Will er nicht, so genügt eine kundige und geschulte Person, die im Bedarfsfall Auskunft geben kann.

Puh, das war knapp. Der Wirt ums Eck hat die Kurve gekratzt. Wie sieht es aber bei den Herstellern von verpackten Lebensmitteln aus? Die hatten wohl im letzten Jahr ziemlich viel zu tun, denn sie mussten jede einzelne Verpackung ändern und an die neuen Regelungen anpassen. Die Nährwerttabelle musste auf den Kopf gestellt, allergene Zutaten optisch hervorgehoben, verwendetes Pflanzenöl näher spezifiziert werden, … Nicht alles halte ich dabei für sinnvoll, einiges hat aber durchaus seinen Wert. Stichwort Pflanzenöl: Da staunt man plötzlich nicht schlecht, wo sich überall Palmöl findet …


Die Intention der LMIV war und ist es, den Verbraucher einheitlich und besser über seine Lebensmittel zu informieren. Ob ihr das gelingen wird, bleibt fraglich. Kann eine andere / erweiterte Kennzeichnung das Interesse an gesundem Essen, die Freude an hoher Lebensmittelqualität, das Kochen-Können (also ganz konkret: kulinarische Bildung) ersetzen? Nein, das kann sie nicht. Dieser Weg, ausschließlich begangen, muss in eine Sackgasse führen, an deren Ende der Konsument noch mehr von seiner eigenen Verantwortung für eine gute und ausgewogene Ernährung abgibt. Sicher, das ist der einfachere Weg. Nichts leichter, als sich über die böse Lebensmittelindustrie zu beschweren. Dabei vergessen wir aber allzu schnell: Die Lebensmittelwelt, in der wir heute leben, wurde von uns mit geschaffen. Wenn beim Einkauf der (billige) Preis über allem anderen steht, muss damit gerechnet werden, dass hinter diesen Produkten auch günstige Rezepturen stehen.

Besser, als wissenschaftlich anmutende Etiketten zu studieren, bleibt daher: Selber frisch kochen. So behalten wir die Kontrolle. Die Kontrolle darüber, woher unser Essen kommt, wie es hergestellt wurde und welche Zusatzstoffe darin gelandet sind. Würde jeder auch nur ansatzweise so kochen wie mein Lieblingskoch (und damit meine ich keineswegs sein handwerkliches Geschick, sondern vor allem seine Freude und die Leidenschaft, mit der er bei der Sache ist), wäre eine Neuregelung dieser Größenordnung nicht notwendig gewesen. Sein Fiakergulasch besteht zum guten Teil aus Basics, aus Grundzutaten einer guten und frischen Küche. Aus Zutaten, bei denen er die Qualität selbst bestimmen konnte und die er dann zu einem wohlschmeckenden Ganzen verarbeitet hat. Kochen, was für eine Kunst …

P.S.: Wer sich in die neue Verordnung einlesen und mehr Details erfahren möchte: Bitteschön.

P.P.S.: Nicht auf die Zitronenschale im Fiakergulasch vergessen!

4 Kommentare:

  1. Gerade, um die Qualität des selbstgekochten Essens selbst bestimmen zu können, finde ich eine umfassende Kennzeichnung aber superwichtig. Sie steht meiner Meinung nach nicht im Gegensatz zu kulinarischer Bildung, wie du es nennst, sondern unterstützt sie, weil sie uns überhaupt erst in die Lage versetzt, zu entscheiden, was wir kaufen wollen. Und hoffentlich macht sie auch das Angebot breiter, denn wie soll ein Hersteller hochwertigere, aber auch teurere Zutaten verwenden, wenn gar keine richtige Differenzierung durch die Kennzeichnung erfolgt? Für kleinere Hofläden mit fester Kundschaft mag das vielleicht noch funktionieren, aber gewiss nicht für den Massenmarkt.
    Liebe Grüße
    Carola

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    1. Ich finde auch nicht, dass eine umfassende Kennzeichnung im Gegensatz zu kulinarischer Bildung steht. Sie darf sie nicht ersetzen, darum ging es mir in dem Beitrag.
      Ich denke, es wurde auch bis dato schon umfassend gekennzeichnet - umfassend ist halt aber leider nicht dasselbe wie richtig bzw. ehrlich. Und ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, dass ein Hersteller hochwertigere Zutaten NICHT kennzeichnet - von "verbesserter Rezeptur" erfährt der Konsument eigentlich umgehend ...
      Liebe Grüße vom Mädel

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  2. Erstens krieg ich Hunger auf Gulasch bei dir :-)
    Zweitens, für die Gastronomen ist es eine weitere Hürde, ich persönlich fände es ausreichend wenn mir das Servicepersonal Informationen geben kann, sofern ich die wünsche. Wobei ich mir das nicht prickelnd vorstelle wenn da grad Hochbetrieb ist und der Kellner muss vielleicht mehrere solche Auskünfte geben, da wäre vielleicht doch wieder eine Karte inkl. Allergenbeschreibung gut.,..hm
    Um immer ganz sicher zu gehen keine Allergene zu mir zu nehmen, muss man wirklich alles selber machen, sprich vom Anbau bis Aufzucht von Vieh, usw.
    Alles theoretisch denn ich vertrage nur Kuhmilch nicht, und verkocht geht's auch..aber gibt ja genug die unter allen möglichen Unverträglichkeiten leiden.

    Danke jedenfalls für deinen umfassenden Beitrag!
    lg. Sina

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    1. Auf Gulasch bei meinem Lieblingskoch, liebe Sina ... Ich denke, die Tafel bei ihm wär groß genug, um dich auch noch aufzunehmen ;-)
      Die Allergensache ist für viele Gastronomen sicher eine Hürde, weil eben Neuland für die meisten. Die Lösung mit der "kundigen Person" finde ich jedenfalls gut.
      Liebe Grüße!

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